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26.10.2025
26.10.2025 07:25 Uhr

Tierseuchen auf dem Vormarsch

Gesunde Kühe haben Appetit. Die Ampeln stehen bei mehreren Tierseuchen aktuell aber auf Rot und deshalb gilt es, die Tiere gut zu beobachten und bei verdächtigen Symptomen umgehend eine Tierärztin oder einen Tierarzt zu kontaktieren. Bild: LID
Tierkrankheiten kennen keine Grenzen. Während rund um die Schweiz wiederholt hochansteckende Tierseuchen ausbrechen, bleibt das Land von gravierenden Ausbrüchen dieser hochansteckenden Tierseuchen bisher verschont. Allerdings wurden zuletzt Fälle der Blauzungenkrankheit bestätigt. Fachleute warnen jedoch: Die Gefahr steigt, und ein hundertprozentiger Schutz ist längst illusorisch geworden.

Maul- und Klauenseuche, Afrikanische Schweinepest oder Lumpy-Skin-Disease – Namen, die in der Schweizer Landwirtschaft Alarm auslösen. In den Nachbarländern gab es 2025 mehrere Ausbrüche, zuletzt Maul- und Klauenseuche in Deutschland und Lumpy-Skin-Disease in Norditalien, Frankreich und Spanien. Beide Seuchen sind hoch ansteckend und können ganze Tierbestände lahmlegen.

Die Schweiz ist bisher von gravierenden Ausbrüchen hochansteckender Tierseuchen verschont geblieben. Allerdings wurde die Blauzungenkrankheit in der Schweiz seit August 2024 erstmals wieder nachgewiesen, zum ersten Mal seit 2020. Doch die Ampeln stehen bei mehreren Tierseuchen auf Rot: Die Bedrohung ist real und es könnte die Schweiz jederzeit treffen.

Wachsendes Risiko und Klimawandel als Beschleuniger

Dass die Zahl und Vielfalt der Tierseuchen zunehmen, ist kein Zufall. Globalisierung und Klimawandel spielen eine zentrale Rolle: Menschen, Tiere und Waren reisen immer mehr und gleichzeitig tauchen durch die Klimaerwärmung neue Insektenarten auf, die Krankheiten übertragen können.

Längere Sommer, mildere Winter – der Klimawandel verändert also die Seuchenlage spürbar. Das BLV bestätigt: «Steigende Temperaturen verlängern die Aktivitätsperiode von Vektoren wie Gnitzen oder Stechmücken.» So können gewisse Krankheiten und Tierseuchen heute auch in Regionen auftreten, die früher zu kühl waren.

Zudem begünstigt die Globalisierung neue Einschleppungswege. Ein unachtsamer Transport, ein infiziertes Wildtier oder ein unzulässig eingeführtes Produkt – und die Kette beginnt. Darum setzt das BLV auf Information: Reisende, Importeure und Tierhaltende werden gezielt über Risiken und Verbote aufgeklärt.

Wachsamkeit auf allen Ebenen

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) verfolgt die Lage in Europa genau. «Die Tierseuchenlage bleibt angespannt», heisst es aus Bern. Für die Schweiz bedeute das ein erhöhtes Risiko und entsprechend verstärke die Schweiz ihre Präventionsmassnahmen, Überwachung und Krisenvorbereitung.

Über das sogenannte Radar-Bulletin informiert das BLV monatlich über neue Risiken und bewertet die Lage für die Schweiz. Dabei steht die internationale Zusammenarbeit im Zentrum. «Wir sind in engem Austausch mit den Veterinärbehörden der Nachbarländer sowie mit Organisationen wie der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH)», so das Amt.

Besonders wichtig ist die Rückverfolgbarkeit: Jeder Tiertransport wird in der Tierverkehrsdatenbank (TVD) erfasst, jedes importierte Tier und tierische Produkt durchläuft ein Kontrollsystem. «Diese Rückverfolgbarkeit ist ein zentrales Instrument der Seuchenbekämpfung», betont das BLV. Und auch an den Grenzen wird kontrolliert. So werden Tiere und tierische Produkte über das elektronische System «TRACES» rückverfolgt.

Bei einem Ausbruch könne innerhalb weniger Stunden reagiert werden. In Krisenübungen wie NOSOS 2021 oder jüngst in den Kantonen Bern und Luzern wurde das Zusammenspiel von Bund, Kantonen sowie Tierärztinnen und Tierärzten getestet. Der Ernstfall ist also kein theoretisches Szenario, sondern eine Frage des richtigen Timings.

«Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann»

Für Patrizia Andina von der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) ist die Lage klar: «Am meisten Sorge macht derzeit die Afrikanische Schweinepest – sie kreist die Schweiz langsam ein und es ist eigentlich nicht die Frage, ob sie die Schweiz erreichen wird, sondern wann.»

Das Virus befällt Haus- und Wildschweine und verläuft meist tödlich. Für Menschen ist es ungefährlich, für die Landwirtschaft jedoch verheerend: Sperrzonen, Keulungen, Handelsstopps.

Auch andere Seuchen wie die Lumpy-Skin-Disease oder die Vogelgrippe beunruhigen die Fachleute. Dennoch zeigt sich Patrizia Andina zuversichtlich: «Die Behörden sind gut vernetzt und neue Regelungen ermöglichen, in Notfällen rasch Impfstoffe zu beschaffen.» Dennoch müssten alle mitziehen – Behörden, Tierärztinnen und Tierärzte und die Tierhaltenden.

Denn Früherkennung beginnt im Stall. Nur wer krankes Verhalten oder Symptome sofort meldet, ermöglicht ein schnelles Eingreifen. Die Tierärzteschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle. Sie ist an der Front, wenn es darum geht, Krankheitsanzeichen zu erkennen, Proben zu entnehmen und Tierhaltende zu beraten. «Die praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte sind wachsamer geworden», sagt Patrizia Andina und ergänzt: «Sie müssen sich laufend informieren, wissen, worauf sie achten müssen und wie sie reagieren.»

Die Tierärzteschaft ist an der Front, wenn es darum geht, Krankheitsanzeichen zu erkennen, Proben zu entnehmen und Tierhaltende zu beraten. Bild: LID

Zwischen Routine und Risiko

Auch in der Praxis bleiben die Fachleute wachsam. Bei den Kleinwiederkäuern sieht Sven Dörig vom Beratungs- und Gesundheitsdienst für Kleinwiederkäuer (BGK) aktuell vor allem die Blauzungenkrankheit als Bedrohung. «Ziegen erkranken zwar meist weniger schwer als Schafe oder Rinder», sagt er.

Die Tiergesundheit sei in den Schweizer Beständen gut, bei den Kleinwiederkäuern dürfe aber das Problem der Resistenzentwicklung gegenüber Entwurmungsmitteln nicht unterschätzt werden: «Unter anderem bei den Ziegen, welche häufig für die Milchproduktion eingesetzt werden, hat sich die Situation noch mehr zugespitzt, da viele wirksame Entwurmungsmittel bei milchproduzierenden Tieren nicht eingesetzt werden dürfen», erklärt Sven Dörig.

Mit dem Klimawandel hätten sich ausserdem neue Herausforderungen ergeben: «Für viele vektorübertragene Krankheiten war das Klima früher zu kühl – jetzt begünstigt es die Vermehrung und Ausbreitung von Mücken und anderen Überträgern», erläutert Sven Dörig weiter. Die wichtigste Schutzmassnahme bleibe einfache Biosicherheit: Quarantäne bei Zukäufen, möglichst wenig Tierverkehr, und konsequente Hygieneregeln.

Die Einzeltierrückverfolgbarkeit mit dem Erfassen der Tiere in der TVD, seit 2020 auch für Schafe und Ziegen Pflicht, sei hier ein grosser Fortschritt. «Sie ist unerlässlich für eine erfolgreiche Seuchenbekämpfung», so Sven Dörig.

Trotzdem seien die Ziegenhalterinnen und Ziegenhalter aktuell schon besorgt, ergänzt Samuel Schaer, Geschäftsführer des Schweizerischen Ziegenzuchtverbands: «Die Sorge ist immer da – für bekannte Seuchen etwas weniger, da weiss man, wie sich vorbereiten.» Aber gerade bei den heute häufig auftretenden neuen Seuchen gestalte sich die Situation für die Züchterinnen und Züchter schwierig. «Da gibt es viele unbekannte Parameter und es ist noch keine Routine vorhanden», erläutert er.

Emotionale Belastung und wirtschaftliche Folgen

Auch bei den Schafhalterinnen und Schafhalter ist die Sorge vor Seuchen präsent. «Das Bewusstsein für die potenziell gravierenden Folgen eines Ausbruchs ist gross», sagt Christian Aeschlimann, Geschäftsführer des Schweizerischen Schafzuchtverbands. Die Tiergesundheit in den Herden sei derzeit gut und die Branche habe in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt, etwa bei der Bekämpfung der Moderhinke.

Doch auch er bestätigt, dass Mobilität und Klimaänderungen die Risiken erhöhten. «So ist die Sensibilität gegenüber Tierseuchen in den letzten Jahren gestiegen, da die Wahrnehmung besteht, dass gewisse Erkrankungen tendenziell zugenommen haben», erklärt er.

Trotz hoher Tiermobilität – Alpungen, Ausstellungen, Zukäufe – legten die Schafhalterinnen und  Schafhalter grossen Wert auf Hygiene und Begrenzung des Tierverkehrs. Biosicherheit werde zunehmend diskutiert und ernst genommen und besonders grössere Betriebe setzten heute verstärkt auf Biosicherheit und Früherkennung. «Ein Ausbruch wäre nicht nur wirtschaftlich verheerend, sondern auch emotional stark belastend», so Christian Aeschlimann.

Leben mit dem Risiko

Tierseuchen sind kein Relikt der Vergangenheit. Sie sind Teil einer global vernetzten Gegenwart, in der Mobilität, Klima und Handel immer engere Verflechtungen schaffen.

Die Schweiz hat gelernt, mit dieser latenten Gefahr zu leben – und sie ernst zu nehmen. Prävention, Forschung, Aufklärung und Kooperation bilden die besten Schutzschilde. Doch am Ende bleibt auch Glück ein Faktor, denn absolute Sicherheit gibt es nicht.

So gut die Schweiz auch vorbereitet ist: «Ein vollständiger Schutz ist aufgrund der Globalisierung und klimatischen Veränderungen nicht möglich, so setzen wir auf Prävention, Früherkennung und schnelle Reaktion», räumt das BLV ein. «Wenn aber alle – Behörden, Branchen, Tierärztinnen und Tierärzte sowie die Tierhaltenden – am gleichen Strick ziehen, lässt sich ein Ausbruch am besten bewältigen», fasst Tierärztin Patrizia Andina von der GST pragmatisch zusammen.

Wichtigste Tierseuchen

LID/gg