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30.12.2023

Stolz aus der Abhängigkeit

«Es ist mir wichtig, die Leistung der Menschen zu würdigen, die es schaffen, ihr Leben umzukrempeln, sich zu reflektieren, Altes zu hinterfragen, sich ihren Traumata zu stellen und Neues zuzulassen», so Nadja Stocker vom Blauen Kreuz. (Symbolbild)
«Es ist mir wichtig, die Leistung der Menschen zu würdigen, die es schaffen, ihr Leben umzukrempeln, sich zu reflektieren, Altes zu hinterfragen, sich ihren Traumata zu stellen und Neues zuzulassen», so Nadja Stocker vom Blauen Kreuz. (Symbolbild) Bild: Pixabay
In der aktuellen Kolumne des Blauen Kreuz schreibt Nadja Stocker über die Leistung, welche Menschen vollbringen, die den Suchtausstieg schaffen.

Die Reaktion auf Menschen, die einen Marathon laufen, hohe Berggipfel erklimmen, einen Doktortitel haben oder eine betagte, kranke Person pflegen, ist die – «Wow! Was für eine tolle Leistung.» Diese ist auch angemessen. Doch was ist mit den Menschen, die täglich die Leistung erbringen, abstinent zu sein und zu bleiben, dem Verlangen nach Alkohol oder anderen Substanzen widerstehen? Wird dies als Leistung anerkannt oder schlicht als das Erreichen oder Erhalten eines Normalzustandes erachtet? Menschen, die nie süchtig waren, nie den unermesslichen Druck nach Alkohol, Tabak oder anderen Substanzen verspürt haben, können nur schwer nachvollziehen, wogegen Betroffene ankämpfen. 

Mich beeindruckt die Leistung der Menschen sehr, die den Suchtausstieg schaffen oder zeitweise schaffen. Es erfordert Disziplin, Kraft und unter anderem die Auseinandersetzung mit den verschiedenen «Ichs». Nämlich dem «Erwachsenen-Ich», dem «Süchtigen-Ich» und dem «Bedürfnis-Ich». Das «Erwachsenen-Ich» steht im ständigen Spannungsfeld zu den beiden Letzteren. Das Erwachsenen-Ich muss also stark und zuversichtlich sein, Strategien kennen, um mit negativen Emotionen, Stress und dem Suchtdruck klarzukommen. Zudem benötigt es die Fähigkeit oder muss diese erst erlernen, seine Bedürfnisse zu erkennen und diesen angemessen nachzukommen. Eben nicht mit Suchtmitteln, sondern z.B. mit Beschäftigungen, die Freude bereiten, Aktivitäten, die erfüllen, und/oder Begegnungen mit Menschen, die ein Gefühl von Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Beständigkeit geben. 

Wenn wir dabei beachten, dass Alkoholsucht eine Krankheit ist, erkennen wir, dass es nicht einfach eine Willensfrage ist, mit dem Alkohol aufzuhören. Vielmehr werden Therapien, Helfende und Unterstützende benötigt. Darum ist es mir wichtig, die Leistung der Menschen zu würdigen, die es schaffen, ihr Leben umzukrempeln, sich zu reflektieren, Altes zu hinterfragen, sich ihren Traumata zu stellen und Neues zuzulassen sowie Neues zu erlernen. Für diese Menschen kann die Abstinenz zu einer Bereicherung werden und die erbrachte Leistung kann als positiver Gewinn betrachtet werden. «Es gibt so viel Schönes in der gewonnenen Freiheit, nicht mehr trinken zu müssen», berichtet mir ein ehemaliger Alkoholsüchtiger. Darum gehen solche Menschen mit Stolz aus der Abhängigkeit, denn sie haben Grosses geleistet.

Nadja Stocker schreibt im «Bock» in regelmässigen Abständen Ratgeberkolumnen für das Blaue Kreuz. Bild: zVg.
Schaffhausen24