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Sport
23.06.2024

Traum geplatzt: Nicole Reist gestürzt

Mit der Teilnahme am Race Across America 2024 beendet Nicole Reist ihre Karriere definitiv.
Mit der Teilnahme am Race Across America 2024 beendet Nicole Reist ihre Karriere definitiv. Bild: zvg
Nicole Reist wollte zum Abschluss ihrer Karriere am Race Across America den 29-jährigen Speedrekord knacken. Nach einem Sturz musste sie Forfait geben.

Das Race Across America (RAAM) ist das härteste und längste Ultracycling-Rennen der Welt. Die Strecke führt über 4’938 Kilometer und 66'000 Höhenmeter quer durch die USA, von Oceanside in Kalifornien an der Westküste durch 13 Staaten bis nach Atlantic City in New Jersey an der Ostküste, nonstop. Über 360 Fahrer und Fahrerinnen starten in 2er-, 4er- oder 8er-Teams, dazu 29 Soloathleten, wovon zwei Frauen.

Die Strecke ist rund ein Drittel länger als die der Tour de France. Jedes Jahr scheitern über 50 Prozent der Startenden, gut 70 Prozent der erstmalig Startenden (Rookies) erreichen das Ziel nicht.

Der aktuelle Geschwindigkeitsrekord der Damen von 21.3 km/h wurde 1995 von der Amerikanerin Seana Hogan, auf einer bedeutend kürzeren Strecke, aufgestellt.

Sturz begräbt Träume

Am Samstagnachmittag, kurz nach 14 Uhr, nur rund 70 km vor dem Ziel, passierte es: Nicole Reist stürzte und blieb für kurze Zeit bewusstlos liegen. Kurz danach war sie zwar wieder ansprechbar, wurde für nähere Abklärungen aber ins Spital gebracht.

Reist fuhr das Rennen damit nicht zu Ende. Dass aus dem anvisierten Damen-Speedrekord von 1995 nichts wird, zeichnete sich jedoch schon früher ab.

70 Kilometer vor dem Ziel zu Ende

Nur rund 70 Kilometer vor dem Ziel war das Race Across America für Nicole Reist aber zu Ende: Wie es in der Medienmitteilung heisst, war Reist Sturz für kurze Zeit bewusstlos, weshalb sie für nähere Untersuchungen in ein naheliegendes Spital gebracht worden sei.

Sie sei kurz danach wieder ansprechbar gewesen. Das Rennen war für sie an dieser Stelle aber beendet. Reists Rekordversuch findet damit kein Happy End.

Es ist das erste Mal seit 14 Jahren, dass sie ein Rennen nicht beendet. Dass es mit dem Damen-Speedrekord nichts werden würde, zeichnete sich aber schon viel früher ab. «Ich kam mit dem Schlafentzug weniger gut klar als in früheren Rennen», so Reist.

Hitze eine Herausforderung

Auch die Temperaturen von über 40°C, nicht nur in der Wüste, sondern auch über weite Teile der restlichen Strecke, hätten der Sportlerin zu schaffen gemacht. Dazu kamen die überdurchschnittlich vielen Baustellen mit Wartezeiten von bis zu 20 Minuten und einmal mehr viel Seiten- und Gegenwind. «Die äusseren Einflüsse des Race Across America waren auch diesmal nicht auf der Seite von Nicole Reist.» Sie hätten das Unterfangen so oder so sehr herausfordernd gemacht.

Es habe aber nicht nur an den externen Faktoren gelegen, wie Nicole Reist noch
während dem Rennen erklärte: «Nebst der grossen Hitze kam ich mit dem Schlafentzug und der Müdigkeit diesmal definitiv weniger gut klar als in meinen drei früheren Teilnahmen. Ich konnte den vorab erarbeiteten Zeitplan von Beginn weg nicht einhalten.» Schon am dritten Tag habe sich abgezeichnet, dass es mit dem Rekord sehr schwierig werden würde.

«Eine strategisch geschickte, logistisch aber komplizierte Rotation innerhalb der Begleitcrew sorgte für mehr Gespräche und damit Unterhaltung für Nicole Reist, wodurch sie sich über eine gewisse Zeit nochmals besser wachhalten konnte.»

Einen weiteren Tag später musste aber eine andere Lösung her: Das Team stellte die Schlafstrategie von rund einmal zwei Stunden pro Tag um, auf zweimal eine Stunde – also öfter, aber kürzere Pausen. Durch die vermehrten Wechselzeiten wurde Reist so gesamthaft etwas langsamer, kam aber immerhin weiter voran. «Vielleicht habe ich mich in den letzten 9 Monaten als Halbprofi einfach zu fest an gute Erholung gewöhnt», meint Reist sarkastisch.

Aufgeben war keine Option

Auch wenn es mental eine enorme Anstrengung für Nicole Reist gewesen sei, sich über viele Tage «weiterzuquälen», obwohl längst klar war, dass aus dem einzigen, grossen Ziel Speedrekord nichts werden würde, sei Aufgeben nie eine Option gewesen: «Wir haben im Team kurz besprochen, ob wir abbrechen sollen oder nun einfach noch eine Kaffeefahrt als Abschlussreise für Nicole draus machen», verrät Teamchefin Christine Wylenmann. «Aber dazu ist Nicole auch nach ihrem Rücktritt definitiv viel zu viel Sportsfrau.» Aufgeben sei für sie nie in Frage gekommen, auch wenn es rückblickend vielleicht besser gewesen wäre.

Ihr neues Leben

Dass nach dem verpasstem Speed-Rekord wirklich Schluss sein würde, bestätigte Reist schon während dem Rennen. Auf die Zukunft angesprochen, sagt Reist: «Ich habe dem Ultracycling-Sport 20 Jahre lang alles untergeordnet. Das reicht. Es gibt schliesslich noch eine andere Welt da draussen.» Sie freue sich sehr darauf, mehr Zeit zu haben: Für Freunde, für Hobbies wie Klettern, Wandern oder Musik.

Schrittweiser Ausstieg

Nach dem Rennen heisse es jetzt: langsam reduzieren und den Körper Schritt für Schritt an ein neues Leben gewöhnen. Und das sei auch gut so. «Ich habe ordentlich Respekt vor diesem neuen Leben und davor, was es mit mir macht. Ich habe gerne klare Strukturen. Diese werde ich mir neu schaffen müssen.»

Ihre Erfahrungen aus dem Ultracycling-Sport gibt Nicole Reist weiter. Schon in
der Vergangenheit hat sie immer wieder Vorträge gehalten. Dafür wird sie in Zukunft mehr Zeit haben.

Die 39-jährige Nicole Reist ist passionierte Langdistanz-Radrennfahrerin. Sie ist mehrfache Weltmeisterin, Europameisterin und Schweizermeisterin und hat seit 2012 jedes Ultracycling-Rennen über mehrere Tausend Kilometer nonstop gewonnen, zu dem sie gestartet ist – unter anderem schon dreimal das legendäre Race Across America.

Im Sommer 2023 ist sie zurückgetreten. Reist arbeitet im Teilzeit-Pensum als Hochbautechnikerin in einem Architekturbüro. www.nicolereist.ch

Pfäffikon24/bt