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Schweiz
29.01.2025

Eine schwarze Stunde für den Journalismus

Wie lange kann sich Jolanda Spiess-Hegglin über das Urteil freuen?
Wie lange kann sich Jolanda Spiess-Hegglin über das Urteil freuen? Bild: zVg
Geht es nach dem Zuger Kantonsgericht, muss der Ringier-Verlag Jolanda Spiess-Hegglin über 300'000 Franken bezahlen. Ein fragwürdiges Urteil, das kaum Bestand haben wird. Ein Kommentar von Thomas Renggli.

Jolanda Spiess-Hegglin jubelt. Das Zuger Kantonsgericht hat der früheren Kantonsrätin 309'531 Franken (plus Zinsen) zugesprochen – zu bezahlen vom Ringier-Verlag wegen vier Artikeln, die der «Blick» im Nachgang der Zuger Landamman-Feier von 2014 über einen zwischenmenschlichen Kontakt Spiess-Hegglins mit einem Politikerkollegen publizierte.

Die Summe beziffert den Gewinn, den der Verlag mit den vier Artikeln gemacht haben soll – also rund 77'000 Franken pro Beitrag.

Mediale Goldgräberstimmung?

Spiess-Hegglin kommentiert gegenüber der Nachrichtenagentur «Keystone-SDA» sichtlich zufrieden: «Es stell sich heraus, dass in einer Auseinandersetzung mit der Medienbranche die Schweizer Gerichte die einzigen, aber sehr zuverlässigen Faktenchecker sind».

Der Beobachter aus der medialen Halbdistanz reibt sich verwundert die Augen und fragt sich: «Verdient eine Zeitung bzw. ein Onlineplattform tatsächlich 77'000 Franken mit einem Artikel?». Wäre dies wirklich der Fall, würde im Journalismus Goldgräberstimmung herrschen – und allein der Onlineverbund «Portal24» würde zweistellige Millionengewinnen pro Jahr machen.

Dies ist ebenso wenig so, wie die Kalkulation des Gerichts aufgeht. Die Milchbüechli-Rechnung der Justiz ist genauso realitätsfremd wie die Einmischung der Gerichte in die Medienfreiheit.

Über guten Geschmack (und den angemessenen Ton) lässt sich streiten. Auch im Fall der «Blick»-Kampagne vor elf Jahren, die kaum in die engere Wahl für den Pulitzer-Preis gekommen ist.

Gewaltentrennung in Gefahr

Mischen sich die Richter aber ins mediale Tagesgeschäft ein und fällen derartige Urteile, sind Pressefreiheit, die Gewaltentrennung und letztlich das ganze demokratische System gefährdet.

Grundsätzlich geht dem Fall auch eine (unfreiwillige) Ironie nicht ab. Kaum ein Verlag setzt so stark auf Chancengleichheit, Inklusion und Integration wie Ringier. Die führenden Titel («Blick», «Schweizer Illustrierte») werden von Frauen geführt. Der CEO von Ringier Schweiz ist mit Ladina Heimgartner eine sie.

Wette gegen Spiess-Hegglin

Spricht Heimgartner in einer ersten Reaktion von einem «fatalen Schlag gegen den freien Journalismus», wird sie eher früher als später aufatmen können. Das Zuger Urteil wird von der nächsten Instanz revidiert. Darauf wette ich den Ertrag dieses Textes – mindestens.

Thomas Renggli