In der Dokumentation ‹Angehörige klagen an – Unwürdiger Umgang mit Demenzkranken› (Quelle) erzählt der Kassensturz, wie ein älterer Mann mit einer dementiellen Erkrankung in einer Alterspsychiatrie in Isolation gesteckt und mit Beruhigungsmitteln ruhigstellt wurde.
Ruhigstellung, weil Zeit fehlt
Gemäss Aussagen von Pflegenden aus dem Film sei die Verabreichung von Medikamenten zur Ruhigstellung der Alltag in Pflegeheimen, weil die Zeit fehle, sich mit dem herausfordernden Verhalten von Menschen mit Demenz zu beschäftigen, bzw. diese angemessen zu betreuen.
Die Mehrheit von älteren Menschen in stationären Institutionen nimmt zu viele Medikamente ein. Im Schnitt nehmen Pflegeheimbewohnende in der Schweiz täglich 9,3 Medikamente (Quelle) ein, 4 Medikamente mehr als die über 65- Jährigen zu Hause (mit 5,6 Medikamente pro Tag).
Gefährdete Bewohnerinnen und Bewohner
Die Pflegebewohnenden sind aus zwei Gründen besonders gefährdet, ungeeignete Medikamente zu erhalten und nicht erwünschte Nebenwirkungen zu haben:
- Haben ältere Menschen einen langsameren Stoffwechsel als Jüngere und bauen deshalb Medikamente weniger schnell ab.
- Leiden viele ältere Menschen in Pflegeheimen unter mehreren Krankheiten gleichzeitig, die medikamentös behandelt werden.
Es erstaunt nicht, dass vier von fünf Heimbewohnenden (Quelle) mindestens ein Medikament zu sich nehmen, welches aufgrund der Nebenwirkungen und der möglichen Interaktionen mit anderen Medikamenten potenziell inadäquat ist. Solche sogenannten potenziell inadäquaten Medikamente (PIM) verursachen häufig Einweisungen in ein Spital oder Stürze aufgrund von Schwindel. Ein bedeutender Teil dieser unerwünschten Ereignisse liessen sich vermeiden durch Vermeidung von Fehlern bei der ärztlichen Verordnung oder durch Therapieüberwachung.
Problematische Benzodiazepine & Neuroleptika
Einer immer grösser werdenden Zahl von demenzerkrankten Personen werden Benzodiazepine und Neuroleptika verschrieben, obwohl sie zu den PIM gehören und schwere Nebenwirkungen zeitigen und rasch in eine Medikamentenabhängigkeit führen. Gemäss Arzneimittelreport der Helsana stiegen z.B. die Bezüge von Quetiapin, einem Neuropletikum, in der Schweiz in den letzten vier Jahren um 30 Prozent (Quelle).
Eine Untersuchung bei 619 Pflegeheimen hat ergeben, dass 37 Prozent der Pflegeheimbewohnenden ein Neuroleptikum erhalten. Neuroleptika sind antipsychotisch wirksame Substanzen, welche beispielsweise zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen verschrieben werden. In den Pflegeheimen wird es vorwiegend Patientinnen und Patienten abgegeben, die unter Schlafstörungen, psychomotorischer Unruhe oder Verwirrtheitszuständen leiden.
Diese Arzneimittel führen zu Antriebslosigkeit und Lethargie und damit lassen sich gemäss dem Co-Autor der Studie, Max Giger, z.B. Menschen mit Demenz, die verwirrt sind, unruhig und aggressiv, ohne grossen Aufwand ruhigstellen.
Es ginge auch anders...
Max Giger ist selbst Mediziner und zeigt sich besorgt über diese Entwicklung. Persönliche soziale und pflegerische Betreuung, z.B. Spazieren gehen, Spielen, würden auch helfen, aber dafür fehlen oft personelle Ressourcen in den Pflegeeinrichtungen. Meistens werden die vertretungsberechtigten Personen über den Einsatz von Neuroleptika nicht informiert, obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass es eine Zustimmung braucht.