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Schweiz
23.01.2025

Wer soll den CH-Pass erhalten?

Backstage, zehn Minuten vor dem Auftritt (v.l.): Anna Frulio als Jojo, Nicole Göldi als Gertrud Starke, Christoph Wäckerlin als Max Bodmer, Regisseurin Daniela Kiser und Yves Fischer als Moritz Fischer.
Backstage, zehn Minuten vor dem Auftritt (v.l.): Anna Frulio als Jojo, Nicole Göldi als Gertrud Starke, Christoph Wäckerlin als Max Bodmer, Regisseurin Daniela Kiser und Yves Fischer als Moritz Fischer. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
Am Sonntag fand die Dernière von «Die Schweizermacher» des Theater Hallau statt. Zwei Wochen lang wurde auf der Bühne ein Thema behandelt, das heute noch so aktuell wie damals ist – gesellschaftlich und politisch. Der «Bock» sprach dazu mit der Regisseurin und den Schauspielenden wie auch mit dem kantonalen Amt für Justiz und Gemeinden.

«Auf der Bühne bin ich Er. Hingegen zu Hause werde ich hoffentlich anders wahrgenommen. Max Bodmer ist schlussendlich nicht gerade ein sympathischer Typ», sagte Christoph Wäckerlin aus Neunkirch schmunzelnd. Zusammen mit 19 weiteren Schauspielerinnen und Schauspielern gab er in Hallau Rolf Lyssys Stück «Die Schweizermacher» von 1978 zum Besten. Der Film ist, an der Anzahl Kinobesucher gemessen, der erfolgreichste Schweizer Film seit Beginn der statistischen Erfassung. Nicht nur der thematisch brisante 104-minütige Spielfilm fand grossen Anklang, auch die Darbietung des Theater Hallau im Gemeindehaus. Der Ansturm auf die Tickets war so gross, dass am vergangenen Mittwoch eine Extravorstellung stattfand. «Unser Team hat das Stück sensationell in die heutige Zeit transferiert und wunderbar umgesetzt. Unsere Show hat über die beiden Wochen 1500 Personen glücklich gemacht», sagte Regisseurin Daniela Kiser, kurz vor der viertletzten Aufführung, mit Stolz und Dankbarkeit.

Auch in den 70ern keine Sympathieträger

Christoph Wäckerlin kann sich gut vorstellen, dass es Menschen, wie Max Bodmer, noch heute gibt: «Hin und wieder schnappt man auf, dass jemand im Einbürgerungsprozess einem Typen wie ihm über den Weg gelaufen ist.» Eigentlich sei der Fremdenpolizist Bodmer eine schüchterne Person, die mit einem Obrigkeitsgehabe versucht diese Eigenschaft zu kaschieren. Aus künstlerischer Sicht sei es interessant, die Figur auf der Bühne zu verkörpern.

Auf der anderen Seite des Tisches sitzt Gertrud Starke, gespielt von der Oberhallauerin Nicole Göldi. Zusammen mit ihrem «Mann» servieren die beiden Deutschen der Fremdenpolizei die perfekten Schweizer – so übertrieben, dass es bereits als Schleimen bezeichnet werden kann. «Zum Glück bin ich nicht wie sie», so Göldi während des Austausches auf den Stufen der Bühne. Sie gehe davon aus, dass es im echten Leben ebenfalls Antragsteller gibt, die mit allen Mitteln versuchen, sich besser hinzustellen. Nebst dem, dass sie sich nicht mit der Figur anfreunden könne, sei die Schwierigkeit beim Hochdeutsch gewesen. «Es ist eine Herausforderung, wenn einem nicht bereits der Schnabel so gewachsen ist.» In einem Punkt sei sie aber dann doch auf der Seite ihres Bühnencharakters. Nämlich dann, wenn Gertrud Starke sagt, dass sie nicht weiterwisse, weil sie anscheinend auf Hochdeutsch arrogant wirke, und wenn sie Schweizerdeutsch spreche, den Anforderungen nicht genüge.

«Die Schweiz und die Denkweise ihrer Bevölkerung haben sich in den letzten fünfzig Jahren stark verändert. Früher wurden die Einbürgerungsentscheide oft auf einer emotionalen oder persönlichen Ebene gefällt.»
Karina Dentzer, Amt für Justiz und Gemeinden, Schaffhausen

Genauso aktuell wie einst

Mit dem Wischmopp und fremdländischem Akzent fegt Jojo durch das Schulungszimmer für angehende Fremdenpolizisten. Eigentlich hätten diese bereits den Raum verlassen müssen. Jojo weist die Herrschaften deshalb auf die «unschweizerische» Unpünktlichkeit hin. Aber eben, diese Männer, im Dienste des Vaterlandes, dürfen sich dies erlauben. Schliesslich geht es um die Zukunft der Schweiz. «Mit dem Verkörpern einer Putzfrau, ist nach etlichen Jahren mein schauspielerischer Traum in Erfüllung gegangen», verrät Anna Frulio, aus Rheinau, dem «Bock». Jojo sei eine coole und natürliche Figur. Zudem basiere sie auf wahren Gegebenheiten. «Ihr sprachliches Missverständnis anstelle von ‹Fürschi mache› ‹Führerschein› gehört zu haben, wurde aus dem echten Leben übernommen.»

Frulio war zudem 2016 selbst in der Position etwa der fiktiven Figuren Francesco Grimolli oder Milena Vaculic – sie liess sich einbürgern. «Bei uns im Kanton Zürich ist es nicht mehr so streng, wie einst. Hausbesuche gehören, nebst einer Prüfung auf der Gemeinde, aber weiterhin zum Prozess.»

Ein Literaturkomitee, bestehend aus rund vier Personen, ist für die Entscheidungsfindung des nächsten Stückes zuständig. «Ich sprach mich für ‹Die Schweizermacher› aus, da die Thematik ein Teil der Geschichte des Landes und weiter hochaktuell ist. Zudem mag ich Stücke, bei denen die Bühne voller Leute ist», erzählte die Regisseurin. Es sei wichtig, dass sensible Themen, auch wenn sie nicht schön sind, wie die Verdingkinder, Raum erhalten und nicht in Vergessenheit geraten.

Nach diesen Worten, konnte Kiser die Türen in den Gemeindesaal nicht mehr länger verschlossen lassen. Die Theatergäste warteten bereits auf den Einlass und das Aufsuchen der Sitze.

Mit der Zeit gehen

«Die Schweiz und die Denkweise ihrer Bevölkerung haben sich in den letzten fünfzig Jahren stark verändert. Früher wurden die Einbürgerungsentscheide oft auf einer emotionalen oder persönlichen Ebene gefällt», so Karina Dentzer, Amt für Justiz und Gemeinden, Schaffhausen. Heutzutage seien die Voraussetzungen klarer umschrieben.

Bis ins Jahr 1991 wurde eine ausländische Ehefrau eines Schweizers automatisch zur Schweizerin. Umgekehrt jedoch nicht. Eine Schweizerin verlor sogar das Bürgerrecht durch die Heirat mit einem ausländischen Ehemann. «Das Bürgerrecht hat sich schon immer dem Wandel der Zeit angepasst. Heute ist die Gleichbehandlung ein zentraler Bestandteil.» Was die Hausbesuche betrifft, fahre der Kanton Schaffhausen einen anderen Kurs. Diese seien durch ein persönliches Gespräch mit den Bewerbern in einem Lokal der Gemeinde oder des Kantons abgelöst worden.

Während bei «Die Schweizermacher» eines der Hauptmotive für die Einbürgerung mit der Arbeit zu tun hat, zählt Dentzer verschiedene Gründe auf: «Die meisten möchten als vollwertiges Mitglied in der Schweizer Gesellschaft eingebunden sein. Politische Rechte, die Sicherheit und Stabilität sowie die direkte Demokratie des Landes werden geschätzt. Durch die Durchmischung der Nationalitäten kann es durchaus sein, dass ein Familienmitglied noch einen anderen Pass hat, und mit der Einbürgerung ganz dazugehören möchte.»

Zahlen und Fakten

Die Statistiken des Staatssekretariats für Migration SEM zeigen zum Beispiel auf, dass im Jahr 1991 in der Schweiz 5872 Personen eingebürgert wurden. Im Jahr 2000 waren es erstmalig über 30'000. Die höchste Zahl mit 47'607 ist 2006 zu finden. Die aktuellsten Zahlen sind von 2023. Da sind 41'701 Personen eingebürgert worden, davon 51 erneut. Der grösste Teil stammt aus Europa, wobei Deutschland, Frankreich und Italien die ersten drei Ränge besetzen. Im Kanton Schaffhausen liessen sich 2023 334 Menschen einbürgern. Vergleich: In Waadt waren es 8947.

  • Angehende Fremdenpolizisten. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Liebe kennte keine Grenzen. Aspirant der Fremdenpolizei verliebt sich in eine «noch» Ausländerin. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Eine Verwechslung führt dazu dass die deutsche Anwärterin des Schweizerpasses fast dem Fremdenpolizisten Bodmer eine Beruhigungsspritze verpassen lässt. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Bodmer (l.) und Fischer sind immer seltener gleicher Meinung. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Was nicht alles getan wird, um Schweizer und Schweizerin zu werden: Das deutsche Ehepaar hat bereits das Fondue für den Besuch der Fremdenpolizei bereitgestellt. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Fremdenpolizist Max Bodmer überreicht «schwerwiegende» Anschuldigungen eines freiwilligen «Spitzels», um die Einbürgerung von Milena Vaculic zu verhindern. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Regisseurin Daniela Kiser beim Schminken einer Nebendarstellerin. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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  • Kurz vor Theaterbeginn wird nochmals nachgebessert. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
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Sandro Zoller, Schaffhausen24