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Schweiz
01.05.2025

Kuriose Kunstdebatte: HSG streitet um konservierte Stubenfliege

Stubenfliege «Erika»
Stubenfliege «Erika» Bild: reckhaus.com
Eine konservierte Stubenfliege namens «Erika», einst Star der kafkaesken Kunstaktion «Fliegen retten in Deppendorf» von Frank und Patrik Riklin, sorgt an der HSG einmal mehr für Aufregung. Ihr Status als Kunstwerk wird nach Ablauf eines Leihvertrags infrage gestellt – und entfacht Diskussionen über Kunstverständnis und Werte.

Die Universität St.Gallen (HSG) ist Schauplatz einer ungewöhnlichen Kunstdebatte: Im Zentrum steht «Erika», eine westfälische Stubenfliege, deren konservierter Körper seit Jahren Teil der renommierten Kunstsammlung der Hochschule war – ausgestellt zwischen Werken von Gerhard Richter, Joan Miró und Alberto Giacometti.

Die Kunstaktion «Fliegen retten in Deppendorf» mobilisierte im Jahr 2012 ein ganzes Dorf, das 902 Fliegen rettete und als Höhepunkt eine Fliege, die «Fliege Erika», mit dem weltweit ersten Flugticket für ein Insekt ins Wellness-Hotel führte.

2015 erwarb Insektizidhersteller Hans-Dietrich Reckhaus das Kunstwerk von den Riklins und stiftete es der HSG-Kunstsammlung. Dort geniesst sie seit zehn Jahren eine prominente Position als polarisierendes Kunstobjekt.

Die Fliege wurde jedoch nicht dauerhaft erworben, sondern auf Basis eines befristeten Leihvertrags von einem Unternehmer aus Bielefeld bereitgestellt.

Mit dem baldigen Auslaufen des Leihvertrags stellt sich die Hochschule die Frage, wie mit dem ungewöhnlichen «Kunstwerk» weiter verfahren werden soll.

Während sich einzelne Vertreter für eine Verlängerung aussprechen, gibt es auch Stimmen, die Zweifel am künstlerischen Wert der Fliege äussern.

Das Kunstwerk «Fliege Erika» ist ein Relikt einer radikalen Konzeptarbeit: In enger Zusammenarbeit mit Hans-Dietrich Reckhaus entwickelten die Konzept- und Aktionskünstler Frank und Patrik Riklin eine kafkaeske Transformationsperformance – unter der Bedingung, dass die gemeinsame Kunstaktion in Deppendorf nicht als einmalige Intervention verpufft, sondern einen echten Wandel im Unternehmen auslöst – nämlich die Umstellung des Geschäftsmodells vom Insektentöter zum Insektenretter (→Insect Respect). Dieser Prozess ist seit 13 Jahren sichtbar und aktiv.

Fliege Erika im Glas-Sarkophag, flankiert von den Konzeptkünstlern Frank und Patrik Riklin Bild: Daniel Ammann

Zugleich sorgt das Vorgehen für Diskussionen innerhalb der HSG: Muss alles, was provoziert, als Kunst akzeptiert werden? Oder braucht es klare Qualitätskriterien für die Sammlung einer Hochschule, die sich international positioniert?

Eine zusätzliche Wendung erhält die Geschichte durch die Entwicklung von «Insect Respect». 

Mit dem Gütesiegel setzt sich Hans-Dietrich Reckhaus für einen neuen Umgang mit Insekten ein. Insect Respect steht für ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Insekt, u. a. durch die Schaffung insektenfreundlicher Lebensräume sowie die Sensibilisierung für den Wert und die Bedrohung der Sechsbeinern – mit dem Ziel, seine Branche zu transformieren.

Zudem baut er mit grossen Veranstaltungen wie dem «Tag der Insekten», mehreren Büchern und zahlreichen Filmen eine starke Insekten-Lobby auf und ist ein gefragter, vielfach ausgezeichneter Referent.

Ob «Erika» ein weiteres Mal ausgestellt wird oder endgültig die Sammlung verlässt, wird die Hochschule demnächst entscheiden.

Die Debatte darüber hat bereits jetzt ein Schlaglicht auf die Herausforderungen geworfen, die sich beim Zusammenspiel von Kunst, Kommerz und akademischem Anspruch ergeben.

stgallen24/stz.